Ich Schisshase…

Heute war es warm.

Sehr warm.

Und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, kurzärmlig rumzulaufen. Aber ich habe mich mal wieder nicht getraut… Das hat mich innerlich wieder total gestresst. Viele Blicke. Ich glaube, an sich ahnen oder wissen es eh schon alle… vor allem auch unser Psychologielehrer. Der hat auch paar Mal etwas komisch geguckt heute. Nun ja… Mich ärgert das. Wieso bin ich da so krass blockiert? Ich will… aber schaffe es einfach nicht. Wenn es jetzt nur so ein paar Narben wären, wäre es glaube ich nicht so schlimm für mich. Aber es sind viele… sehr viele. Und ich habe Angst, dass mich die Leute dann anders behandeln… entweder wie ein rohes Ei, oder Abstand nehmen oder für verrückt halten. Ich habe ja generell Angst vor Veränderung, und das ist dann wieder eine ganz neue Situation, mit der ich umgehen muss. Die Lehrer könnten mich darauf ansprechen… Das macht mir auch etwas Angst.

Ich weiß, dass ich eine super Klasse habe und dass es nicht besser sein könnte. Also wäre jetzt die allerbeste der Besten Gelegenheiten, da mal einen Schritt weiter zu kommen. Nur irgendwas blockiert mich… obwohl ich mir ja schon denke, dass die anderen es eh schon vermuten. Also was genau ist es, das mir da so einen inneren Druck macht? Ich war nur angespannt heute… die ganze Zeit. Anscheinend gibt es in mir drin zwei starke Gegenspieler/-pole, die gerade Tauziehen spielen. Hin und her… und letztendlich verharre ich in Tatenlosigkeit, weil ich so blockiert bin und ärgere mich dann über mich selbst. Verliere mich in “Was wäre wenn”-Phantasien… Wie einfach es doch wäre, hätte ich das nie getan. Aber andererseits weiß ich auch, dass ich gefühlt keine andere Wahl hatte damals. Und dass ich es jetzt nicht mehr ändern kann… und auch nicht meine kompletten Arme tättowieren lassen will. Und auch nicht langärmlig herumlaufen möchte, da a) meine persönliche Freiheit eingeschränkt ist b) ich dann immer wieder vor enttarnenden Situationen Angst haben muss und c) ich Hitze hasse und nicht gut vertrage und mich dieses langärmlig-Rumlaufen somit echt noch meine letzte Kraft kostet. Außerdem will ich zu dem stehen, was ich bin. Was war. Es ist ein Teil von mir. AAaaaahhhhhrgh.

 

Es wäre irgendwie gut, wenn wir das Thema SVV/Borderline schon in der Schule gehabt hätten. Nicht nur die teilweise wirklich respektlosen, abwertenden Kommentare von einzelnen Lehrern zu diesem Störungsbild… Das macht es auch nicht unbedingt einfacher für mich. Sowas wie “Ja… Die Borderliner haben ja mit allem und jedem ein Problem und kommen mit nichts klar.” oder: “…die Leute, die das haben neigen zu Promiskuität und sind manipulativ, da muss man aufpassen.”, hilft mir nicht wirklich, ehrlich gesagt.

 

Weiß wer, wie ich es mir einfacher machen könnte?

Ideen?

Ich bin da derzeit wieder irgendwie recht ideenlos.

Hatte überlegt, vielleicht in unsere Whatsapp-Klassengruppe was zu posten… quasi als Vorwarnung, damit alle Bescheid wissen und ich einfach nicht mehr ganz so die Hemmung habe. Aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist…

 

Es wird Zeit.

Da ich jetzt auch draußen immer mehr zu mir – und den Narben als Teil von mir – stehe, habe ich beschlossen das auch hier zu tun.

 

Ich traue mich jetzt einfach und rechtfertige mich nicht weiter. Es ist wie es ist.

 

 

Narbengarten.

Manchmal erwische ich mich, wie ich vor dem Badspiegel im neuen Haus meines Vater stehe und mich, meinen Körper betrachte. Ich bin eine einzige Narbe. Meine dünnen Ärmchen voller roter und weißer Striemen. Meine Hüfte und meine Oberschenkel ebenfalls, doch diese Narben kommen von meiner Krankheit die mich Mitte April niedergeschmettert hat. Mir wurde Flüssigkeit zugeführt, literweise. Ich war aufgedunsen, meine Oberschenkel mindestens drei mal so breit wie zuvor. Nun habe ich die Quittung: Zerrissenes Gewebe an der Innenseite der Schenkel und an der Hüfte – zentimeterbreite Striemen. Ich sehe einfach nur noch kaputt aus… Unter den Achselhöhlen jeweils auch eine dicke, rote Narbe. Dort haben sie mir die Schläuche durch die Rippen in meine Lunge gestochen… ich fürchte, all die Narben werden niemals verschwinden. Zeit heilt leider nicht alle Wunden… tiefe Wunden verheilen niemals mehr völlig.

In der Klinik wurde ich ständig gefragt, was ich da an den Armen habe… gefühlte hundert Mal. Irgendwann gehen einem die Antworten aus, man wiederholt sich… man tut alles ab, als wäre nichts. Doch wenn einen der Gegenüber mit Tränen in den Augen anblickt, geht das wohl an niemandem so einfach vorbei…

Inzwischen wissen fast alle davon. Als ich so krank war, hatte ich keine Möglichkeit, mich zu verstecken. Die OP-Hemdchen sind nunmal ärmellos. Also haben alle meine Arme gesehen, meine ganze Familie und Bekannte, die mich besucht haben. Einige gehen seitdem auf Abstand, wissen nicht mehr, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollen. Genau das habe ich gefürchtet, und nun ist es eingetreten. Leider habe ich nun keine Möglichkeit mehr, all das rückgängig zu machen… Gesehen ist gesehen, da geht jetzt kein Weg mehr zurück.

Etwas Positives hat es dennoch: Ich bin offener geworden und verstecke mich nicht mehr so wie früher. Das mag vielleicht auch an den Tabletten liegen, wer weiß… jedenfalls habe ich beschlossen, zumindest hier auch Dinge zu posten, die echt privat sind und die ich nicht jedem auf die Nase binden würde. Ich denke Offenheit ist die einzige Möglichkeit, mit seiner Vergangenheit, sich selbst und anderen zurechtzukommen.