Auf Kinderkoks

Nach langer Zeit melde ich mich jetzt schriftlich wieder.

Es ist einiges passiert, aber heute konzentriere ich mich mal auf eine Sache: Seit August habe ich jetzt die Diagnose “ADHS”. Nach viel Lektüre – eigentlich wegen der Kinder, die ich behandle – fand ich immer mehr Parallelen zu mir. Auch so im Kontakt mit den Kindern. Auch eine Kollegin, die selbst ADHS hat, fragte mich schon, ob ich das hätte und ob es in meiner Familie liegt.

Jetzt habe ich es – nach 2 Jahren und Corona dazwischen – schwarz auf weiß. Für mich erleichternd, weil ich jetzt weiß, dass ich nicht einfach faul und dumm bin, sondern es einen Grund dafür gibt, wieso ich manches nicht so schaffe wie Ottonormalverbraucher.

Lange Rede, kurzer Sinn: Seit Mittwoch, also drei Tagen bin ich auf Ritalin/Medikinet. Eigentlich wollte ich keine Medikamente nehmen und habe mir einen Platz bei einem Verhaltenstherapeuten gesucht, der auf ADHS bei Erwachsenen spezialisiert ist. Der wiederum hat mir empfohlen, das Medikament zu testen, weil er der Meinung ist, das könne mir gut helfen bei meinen Problemen. Ich wollte auch mal probieren, ob es einen Effekt hat. Jetzt musste ich noch 4 Mal zu diversen Kardiologen wegen meiner Rhythmusstörungen, weil das Zeug auch Veränderungen machen kann.

Aber da nichts dagegen sprach, nehme ich es jetzt.

Ich hatte Angst davor, weil ich vor allen Medikamenten und vor allem den Psychopharmaka inzwischen Angst habe – zu viele schlechte Erfahrungen. Also… ich habe das Zeug also genommen. Mittwoch morgen, vor meinem Kardio-Termin, wo mir das Langzeit EKG angelegt werden sollte.

Nach ca. einer Stunde glaubte ich dann eine Wirkung zu bemerken. Ich fühlte mich ruhig – nachdem ich wie immer vor Arztterminen sehr unruhig und hibbelig war und meine Gedanken wurden langsam. Ruhe kehrte innerlich ein. Eine Ruhe, die ich so noch nie vorher empfunden hatte. Eine klare Ruhe. Nicht benommen. Und meine Wahrnehmung veränderte sich nach und nach… auf dem Weg in die Stadt zu dem Termin fiel mir auf, dass ich auf einmal alles viel klarer und weniger aufdringlich, weniger reizüberflutend wahrnahm. Meine Gedanken haben nicht so schnell gewechselt und ich konnte bei einer Sache/Wahrnehmung bleiben. Die innere Unruhe/Angst war viel weniger. Jetzt inzwischen glaube ich, dass viel meiner vermeintlichen Angst einfach ungerichtete innere Unruhe war und daraus entstand, diese Unruhe zu verstecken/zu unterdrücken zu wollen. Meine Ängste treten/traten immer vor allem dann auf, wenn ich irgendwo still sitzen musste (U-Bahn, Schule, Restaurant, etc.). Bestimmt war auch ein Teil davon soziale Ängstlichkeit/Unsicherheit, aber ich glaube inzwischen ein großer Teil war diese innere Unruhe, die sich oft steigerte in diesen Situationen.

Was ich sagen kann über Ritalin ist, dass es bei mir definitiv gegen diese Unruhe hilft. Allerdings fühlte ich mich am Abend des ersten Tages, nachdem es nicht mehr wirkte, absolut antriebslos und ein wenig depressiv und oder gleichgültig. Was mich etwas beunruhigt ist auch, dass die Wirkung schon am zweiten Tag deutlich weniger intensiv war.

Heute war mein erster Arbeitstag auf Ritalin. Ich muss sagen, es fällt mir so viel leichter zu arbeiten. Viel klarer und strukturierter im Kopf, weniger vergesslich und verpeilt (aber noch lange nicht weg!) und weniger abgelenkt von allem drum herum. Auch weniger abgelenkt von meinen eigenen Gedanken und Körperempfindungen. Jetzt am Abend fühle ich mich zwar weniger reizüberflutet, aber immernoch körperlich erschöpft und es hat auch nicht verhindert, dass ich gegen Feierabend nach und nach wieder zu meinem alten, verpeilten Zustand zurückkehrte. Was positiv war, war, dass ich mich weniger selbst abgewertet und kritisiert habe. Entweder weil weniger Grund dazu da war (was definitiv so war), oder aber weil meine Gedanken nicht überall hin gewandert sind, sondern bei dem waren, was ich gerade getan habe oder tun wollte.

Fazit: Ich bin mir noch unsicher, was ich davon halten soll. Ich denke eine Dauerlösung ist es ja irgendwie nicht. Da frage ich mich dann auch, was sich dadurch langfristig an meinem Hirnstoffwechsel ändert und ob es danach nicht vielleicht noch schlimmer ist? Und in wie weit man da auch sehr schnell psychisch abhängig wird. Diese innere Ruhe ist schon wirklich verlockend und angenehm. Allerdings hatte ich auch das Gefühl, dass mein Körpergefühl sich ändert und ich weniger spürte. Ich frage mich, ob das für Kinder wirklich gut ist. Die befinden sich ja noch in der Entwicklung und diese veränderte Wahrnehmung ist bestimmt nicht unbedingt förderlich im Bezug auf Körperwahrnehmung und Achtsamkeit gegenüber sich selbst. Es ist eher ein Sich-Entfernen von sich selbst hin zu einer besser funktionierenden Version seiner selbst. Ist es das wert?

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