Das schwarze Loch.

Gestern lag ich auf dem Sofa und habe vor mich hin sinniert, Augen zu, nachdenken. Ausruhen. Vor meinem inneren Auge ist das Wohnheim ein schwarzes Loch… dunkel, düster. Ein dunkler Fleck. Obwohl es dort eigentlich ganz idyllisch ist: Es liegt mitten im Stadtwald, außen herum ist eigentlich nur Wald, kaum andere Gebäude befinden sich in der Nähe. Es ist ruhig, sehr ruhig und sehr grün. Es gibt viele Blumen, Bänke, Wiesen, eine Terrasse, eine kleine Terrasse beim Bungalow, ein großes, altes Haus, in dem sich fast alle Zimmer und die Verwaltung befinden und eben das Bungalow, das wenige Meter vom Haupthaus entfernt ist. Dort sind auch nochmal drei Zimmer von Bewohnern, die etwas selbstständiger sind. Quasi eine WG. Das Außengelände ist sehr gepflegt, Blumen angepflanzt, dekoriert. Wie gesagt… eigentlich absolut idyllisch.

Dennoch ist es düster vor meinem inneren Auge. Ich finde es herrscht dort eine merkwürdige Stimmung… mir fällt kein passenderes Wort als “düster” ein. Heute habe ich mich krank gemeldet, da heute Schwimmgruppe ist (und sonst eigentlich nichts) und ich dort nicht hin möchte. Außerdem brauchte ich eine Pause… Mal durchschnaufen. Sonst werde ich noch depressiv.

Meine Anleiterin ist zwar ganz nett und eigentlich auch fürsorglich, trotzdem gefällt es mir nicht. Das Heim zieht in ca. drei Monaten um und alles ist schon in Aufbruchsstimmung. Viele Gruppen finden nicht mehr statt, der Chef will nur noch Gruppen, die die Leute fit für das betreute Einzelwohnen macht. Kein Schnick-schnack mehr. Also gibt es nur noch Hirnleistungstraining, “Rund um die Küche”, Entspannungsgruppe und Einzelstunden, wo dann aufgeräumt oder gepackt wird. Ja… und schwimmen. Und Bewegungsgruppe. Die meisten Leute dort sind schon sehr lange da. Manche sogar 25 Jahre, die ältesten Hasen. Es gibt auch neuere, die noch nicht lange dort wohnen.

Fast alle dort (geschätzt 80-90%) haben eine Störung aus dem schizophrenen Formenkreis, chronisch. Das heißt, sie hatten schon mehrere psychotische Episoden. Sie kommen nicht mehr alleine zurecht, also müssen sie bereut werden. Die Leute, die dort sind, brauchen mehr als nur ambulante Betreuung. Viele sind schon mit Körperpflege und -hygiene überfordert.

Die Hauptbeschäftigung dort ist rauchen. Auf der Terrasse rauchen und rumsitzen. Sich anschweigen. Manche der jüngeren reden auch. Die meisten aber kaum. Das Wort, das ich immer im Kopf habe ist “Endstation”. Was auch passend ist… die Bushaltestelle “Waldkrankenhaus” ist die Endstation.

Das Team scheint auch wenig Richtung Besserung oder Heilung zu arbeiten, alle scheinen so hoffnungslos. Psychotherapie hat niemand. NIEMAND!!! Die gehen nur alle vier Wochen zum Psychiater, wegen der Medis. Abgesehen davon gibt es nur die Gruppen im Haus, die sich wirklich auf so Alltagspraktische Dinge beschränken. Psychologe ist dort auch keiner. HeP, Krankenpfleger, Soz-Päds, Ergo. Alle scheinen wenig Ahnung von Psychologie zu haben… Guter Kommentar im Team einer langjährigen Soz.-Päd.: “Hatte der jetzt eine Doppeldiagnose? Borderline und Persönlichkeitsstörung?” Schon klar.

Und damit bin ich dann schon beim nächsten Thema: Das letzte Team war eine Lästerrunde über Borderliner. Ausgangspunkt war, dass der Chef wohl immer eine Fallgeschichte eines ehemaligen Patienten raussucht und die erzählt. Natürlich Geschichten, die hervorstechen. Dieses mal eine von 2002, die eines Borderliners, Ende 20, der dafür bekannt war, Gabeln zu schlucken (die ihm dann wieder herausoperiert werden mussten) und bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken, abzuhauen und sich in diverse Krankenhäuser einweisen zu lassen. Alle paar Tage. Wirklich alle paar Tage, der war mehr abwesend als anwesend im Heim. Es mündete in eine allgemeine Lästerrunde über Borderliner, wie froh sie doch sind, dass sie so lange keine mehr dort hatten und so weiter und so fort. Weil die so anstrengend sind, da muss man sich wohl richtig bemühen und mal etwas mehr tun als sonst. Momentan gibt es für die meisten mehr Pausen als Arbeit, habe ich das Gefühl. Offiziell habe ich eine Stunde Pause, allerdings ist zwischendrin immer Pause.. Pause Pause Pause. Endlos langweilig… Ich habe jetzt begonnen Bücher zu lesen, weil mir die ewig sinnlosen Gespräche mit meiner Anleiterin zu langweilig wurden.

Der eine oder andere Fall würden mich interessieren, allerdings gibt es nur grobe Infos, auf die ich Zugriff habe, die Akten sind beim jeweiligen Betreuer verwahrt und somit habe ich nur Zugriff, wenn derjenige mein Sichtstundenklient ist. Also nichts wars… nicht einmal Krankengeschichten kann ich mir ansehen. Das wäre nochmal interessant.

Reden kann man mit den meisten Bewohnern nicht wirklich. Vielleicht kommt das ja noch… aber bisher sind die meisten eher zerstreut, misstrauisch, stumm oder wirklich, wirklich merkwürdig gewesen. Oder so ungepflegt, dass man möglichst viel Abstand halten möchte.

Was wirklich seltsam war, war der eine in der Entspannungsgruppe. Zu Anfang gab es eine Befindlichkeitsrunde, also jeder sollte sagen wie es ihm geht. Er sagte: “Mir ist kalt.” Ego: “Ja, da haben Sie schon recht, hier ist es wirklich etwas kalt.” Er: “Mir ist innerlich kalt.” Sie: “Innerlich kalt? Wie meinen Sie das?” Er: “Draußen steht ein Wasserbehälter mit Trinkwasser. Da ist Gift drin! Das steht auch drauf auf der Deklaration.” Dann kamen noch irgendwelche mir nicht verständliche Dinge, die Ergo hatte es auch nicht verstanden und fragte ihn nochmal: “Wie geht es Ihnen denn nun? Freuen Sie sich schon auf dem Umzug?” Er: “Lucky death.” Sie: “Wie bitte? Das habe ich jetzt nicht verstanden.” Er: “Glücklicher Tod.” etc. pp. Das ist so ein ganz hagerer Typ, der hatte bis vor ein paar Tagen noch lange Haare und Bart, sieht ein wenig aus wie so ein Altrocker, Brille, Lederjacke, Bluejeans, Brille. Bewegt sich extrem starr und spricht genauso, keine ganzen Sätze sondern nur so einzelne Wörter, emotionslos, ohne jegliche Mimik mit schnarrender Stimme. Wenn er läuft erinnert er mich an Ozzy Osbourne, der ist ja inzwischen auch so kaputt, dass er so merkwürdig abgehakt und kleinschrittig, starr, läuft. Oftmals reagiert dieser Herr nicht, wenn man ihn anspricht. Wirkt wie ferngesteuert. Dann war noch einer bei der Entspannung dabei, der eher das Gegenteil ist. Den muss man immer bremsen, wenn er redet. Redet sehr laut und wie gesagt viel. Von dem wurde ich an meinem ersten Tag begrüßt mit: “Sie kenne ich doch! Ich habe Sie am Freitag gesehen, da haben sie mir gezeigt, wie man Stege baut!” Verwechslung. Aber er bestand eine ganze Weile darauf. War ein komischer Einstieg, als ich dor ankam. Der sagte dann u.a., er habe Rückenschmerzen. Die habe er, weil er mal aus dem Fenster im 2. Stock gesprungen ist. Dann war noch eine dabei, die total hinüber wirkte… fettige Haare, übergewichtig, motorische Ticks – sie bewegte den Kopf immer wieder so hin und her, als würde sie etwas mit den Augen verfolgen. Dunkle Augenringe, fahle, teigige Haut. Die sagte auch nur wenig. Die vierte im Bunde war ebenfalls eine Frau, um die 40 Jahre. Die redet ebenfalls zu viel, allerdings auch ohne jegliche Mimik. Und wiederholt sich immer wieder. Ständig dieselben Geschichten und Fragen. Über sie weiß ich ein wenig. Sie ist dort seit sie 25 Jahre alt ist. Schizophrenie, hebephren stand in ihrer Akte. Kommt aus zerrütteten Familienverhältnissen, musste wohl irgendwann anschaffen, hat drei Kinder von zwei unterschiedlichen Männern. Beim dritten weiß man nicht von wem. Sie wurden ihr alle weg genommen, was sie total fertig macht. War mal in der Punkszene. Vielleicht vom Vater missbraucht worden. Dann noch ein weiterer. Der ist relativ normal würde ich sagen, hat auch “nur” Depression und Ängste.

In diesem Raum war es dunkel, alles, was sich dort befand, war alt, dreckig und es müffelte. Mein erster Gedanke war: “Wie soll man sich hier bitte entspannen können?!” Wirklich, wirklich unschön. Finde ich. Den Bewohnern scheint das alles wenig auszumachen.

Ich kann da nicht bleiben, was soll ich da auch lernen? Was die dort machen, hat mit Therapie wenig bis nichts zu tun und Krankengeschichten bekomme ich ja auch kaum mit. Dazu noch diese unglaubliche Tristesse… der anstehende Umzug, bei dem ich dann vermutlich helfen muss. Also Kartons packen. Dort werde ich noch selbst gaga…

Ich bin so hin und her gerissen zwischen “Ich zieh’ es jetzt durch!” und “Ich wechsle die Stelle, damit ich was lernen kann und irgendwo bin, wo man wirklich was bewirken will.”… Wir können die Stelle schon wechseln, dann muss ich mit der betreffenden Lehrkraft sprechen und schauen, ob es noch eine Alternative gibt.

 

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